Così fan tutte
oder: D wie Dirndl.
Text-AnTeil an Herrn Wortmischers Projekt
Kleider machen Leute – von A bis Z
Eltern haben oftmals einen konkreten Erziehungsplan im Kopf. Wenn sie sich erfolgreich vermehrt haben. Der Erziehungsstil wird dem anfänglich wehr-losen Kind wie ein Korsett übergestülpt und – wenn es gut läuft – unterstützt es die Entwicklung eines eigenen, stabilen Rückgrates. In der Regel werden die Schwerpunkte der Erziehung an eigenen Werten orientiert. So auch bei meinen Eltern.

Erst einmal kam ich zu spät. Exakt zwölf Jahre. Als schon niemand mehr mit mir rechnete. Und der Arzt meiner Mutter eine überreizte Galle diagnostizierte. Die überreizte Galle, das war ich. Möglicherweise lag es daran? Ich sollte kein typisches Mädchen sein. Mich entwickeln fern oder richtiger: frei von Rollenbildern. Das ist recht fortschrittlich gedacht. Möchte ich anmerken. Immerhin habe ich die 40 weit hinter mir gelassen und 1975- plus-minus-ein-paar-Verdöselte existierte Gender.ifizierung in der heutigen Konnotation nicht. Mein Vater war also seiner Zeit weit, weit voraus. Freigeist. Vordenker. Revolutionär. Wegbereiter.

Hinter alledem verbirgt sich m-ein Kindheitstrauma. Selbiges erstreckt sich vom Herrenfriseur, bei dem man mich auf einen erhöhten Kindersitz verdonnerte und mir mit dem Scherer einen schnittigen Meckie be-scherte…, *…, weil es für den Sport praktischer sei... über Weihnachtsgeschenke, die aus Fischer-Technik-Baukästen und Legogedöns bestanden..mit denen mein Vater Stunden sehr artig spielte… über eine elektrische Eisenbahn ...die er mit leuchtenden Augen in Empfang nahm, kaum, dass sie von mir ausgepackt,… das Chemielabor *was eine durchschlagende Wucht war. Näheres zu den Vorfällen unter: Loriots „Wir bauen ein Atomkraftwerk“ …. …über verbotene Bikinioberteile, hin zu einem sportiven, praktischen Outfit UND einer sich in lautem Wutgeheul äußernden Abneigung gegen Wurstfinger, die an mir rumtatschen, während zittrige Altdamen-Stimmen brüchig winseln „Das ist ja ein hübscher Bub! Ja, so ein hübsches Söhnchen.“

Nun war ich zugegebenermaßen von Beginn an ein recht wildes Ding. Und in der Tat fand ich Fischertechnik spannender als die später zur Kommunion erhaltene Barbiepuppe, der ich den Kopf rasierte, bevor ich ihn abriss*. *..was durchaus ein Versehen und keinstenfalls Indiz martialischer Gelüste war. Das blöde, unbiegsame Ding war so spröde und taugte nicht. Weder zum spielen, noch zum lieb haben. Und, ja, ich machte Sport. Sehr viel Sport. Babyschwimmen. Später Leichtatlethik. Und noch später Kunstturnen. Ich wickelte meinen schmächtigen Leib um Stufenbarren und verbog mein Rückgrat*. *welches sich, nachtragend, wie es ist, durchschlagend an einem lichten Sommertag im Jahre 2013 rächte. Und natürlich waren die raspelkurzen Häarchen praktisch. Obwohl sich zunehmend mein Verdacht erhärtet, der Herr Papa beschenkte mit der Fischertechnik eher sich, denn mich. Zumindest bei der elektrischen Eisenbahn war es so. Aber ich setzte meinen kleinen, sturen Dickschädel durchaus durch.
Zum Beispiel, als ich den Herrenfriseur flüchtete, bevor wir bei diesem überhaupt eintreffen konnten. Allein das Wort Friseur trieb mich im Schweinsgalopp auf den nächstbesten Apfelbaum. Um wie ein Äffchen den hohen Stamm hochzuhangeln und hernach aus der Krone herablassend huldvoll gelassen mit einem angebissenen Äpfelchen zu winken. Lächelnd, während der Herr Papa mit röter anlaufendem Gesicht brüllte, ich solle sofort herunter kommen. Natürlich nicht. Ich war also stur und beliebte mich durchzusetzen. Das Ergebnis waren kleine Kringellöckchen, die ich sehr gerne zu zwei Mäuseschwänzchen trug.

Und da kam der Urlaub. Und mit dem Urlaub die Alpen. Und mit den Alpen die vielen, feschen, drallen Damen in ihren feschen Dirndlen. Fand ich anrüchig. Und aufregend. Diese prallen Brüste, die sich aus der unzüchtigen Auslage schoben. Der Inbegriff aller Weiblichkeit für mein mageres, kurz geschorenes, geschlechtsneutrales Kinder-Ego. Daraus reifte der Plan des Befreiungsschlages. So verrucht wollte ich auch sein. Und so weiblich. Und! … ich erhielt – man wagt es kaum zu glauben – dieses und viele folgende Dirndl. Himmel, was fühlte ich mich mondän. Und schick. Und so unwiderstehlich weiblich. Und auch ein bißchen verrucht.

Mein Herr Papa ist der weltbeste Vater, den ich mir wünschen kann. Rückblickend hat er alles richtig gemacht. Im Nachhinein verstand ich. Er hat mir die Häarchen deswegen scheren lassen, weil sie so spärlich waren… und man glaubte, das Schneiden rege das Wachstum an. Gewachsen sind die Haare und wahrlich seltsame Blüten… Möglicherweise hätte er meinem Drang nach Glamour und Weiblichkeit mehr Raum zugestehen sollen. Denn jetzt und hier und heute bin ich eine ausgewachsene Torte, wie sie im Buche steht. Tussi Deluxe. So ist das eben mit den Kindheitstraumata.
Das Haar wallt vor sich hin und kein Friseur darf seine Griffel darein versenken. Kleider habe ich soviele, dass ich sie nicht zählen kann. Nach Farbe geordnet. Und die Farben nach Längen. In meinem Ankleidezimmer. In dem sich natürlich auch Taschen in rauhen Mengen und Schuhe jeder Machart stapeln. Was aus dem verbotenen Bikinioberteil wurde, führe ich an dieser Stelle nicht aus. Doch ein Übermaß an dekorierender Unterwäsche in allerlei Varianten wird selbstredend fortwährend gepflegt. Natürlich bedürfen darüberhinaus meine Ketten und Ohrgehängsel und Ringe einer gesonderten Würdigung. In unzähligen diversen Schmuckschattulen. Meine Schätze. Die ich gerne um mich herum drapier und sie einfach durch die Finger gleiten lasse. Denn Ohrlöcher durfte ich natürlich auch nicht haben. Damals.

Tscha, wenn sie denn losgelassen. Stein, der die Lawine ins Rollen brachte war ein winziges Dirndl. Ein Zauberdirndl. Es verlieh mir den Schlüssel zum rosafarbenen Glitzerparadies, ..auch einen gewissen Hang zum FemmeFatale.isieren…
Also versuchen Sie, bitte, nicht, aus Ihren Kindern Neutra zu erzwingen. Das haut nicht hin. Die eigene Natur ist immer stärker.

An dieser Stelle bekenne ich mich zudem ein ausgesprochenes Papakind gewesen zu sein. Ja, heute noch. Ich liebe und verehre den alten Herren über alles. Und er hat alles richtig gemacht. Und mich unterstützt, die zu werden, die ich bin. Auch, wenn das Projekt meiner Aufzucht den Titel „Der Widerspenstigen nie erfolgte Zähmung“ verdiente. Durch meinen Vater habe ich gelernt, wehr- und stand-haft zu sein. Ihm verdanke ich meine Kämpfernatur, die so manches übergriffige Mannsbild in seine Schranken weisen konnte. Ihm verdanke ich, den Glauben an mich. Dass es immer weiter geht. Und ich viel stärker bin, als ich oft annehme. Den daraus resultierenden Mut, Unmögliches auszuprobieren. So schaut das aus.

Jo. Finish. Abgesang.*
*der Text wurde mit Lächeln im Herzen, viel Liebe und nicht weniger Ironie geschrieben. Ich hatte eine herrliche, behütete, wilde, wunder- und liebe-volle Kindheit, für die ich sehr dankbar bin. Mit so einem Heimathafen lässt es sich selbst im stürmischsten Ozean segeln.
Herzlichen Dank an den weltbesten Heinrich für das Teilnehmen in zuckerknuffiger Lederhose, wie das Aufmerksam-Machen und Inspirieren und an Herrn Wortmischer für das zauberhafte Projekt!
Bonusmaterial: